Bunt Gemischtes
Die Geschichte einer Vision
Kommt ein Baby mit weniger als 1500 Gramm vor der 30. Schwangerschaftswoche oder mit einer schwerwiegenden Diagnose auf die Welt, ist das eine enorme Belastung für die Eltern. Das Früh- und Neugeborenenteam begleitet sie von Anfang an.
Interview mit Ulrike Altinsoy-Braune, Leitung des Früh- und Neugeborenenteams.
Frau Altinsoy-Braune, der Bunte Kreis ist quasi aus einerVision heraus entstanden. Aus etwas Kleinem wurde etwas ganz Großes. Wie kam es dazu?
Unsere Gründerväter Horst Erhardt und Dr. Friedrich Porz, damals Mitarbeiter der Augsburger Kinderklinik, erlebten, wie alleingelassen Eltern sich fühlten, wenn ihre schwerkranken oder mit Behinderung geborenen Kinder nach
langen Klinikaufenthalten nach Hause entlassen wurden. Es gab keine Nachsorge, keine Sozialstation mit Kinderkrankenschwestern, keinen Anspruch auf Hilfe. In einer Runde aus Klinikmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, Klinikseelsorgerinnen und -seelsorgern sowie Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Selbsthilfegruppen kam die Idee auf, das zu ändern. Das klang damals wie eine Illusion, denn wer hätte das organisieren, wer bezahlen sollen? Doch Horst Erhardt setzte diese Idee mit einigen wenigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in die Realität um!
Das war sicher nicht einfach und es waren viele Hürden zu nehmen?
Visionen umsetzen, das macht bis heute den Bunten Kreis aus. Das geht nur mit großem Engagement aller Beteiligten. Ein erster Schritt war damals, eine Kinderkrankenschwester für die Nachsorge anzustellen. Es war so eine Entlastung für die Eltern, als es endlich Unterstützung in diesen schweren Lebenslagen gab. Als dann das erste schwerkranke Kind, ein Frühchen, direkt von der Intensivstation nach Hause gefahren wurde, war das eine Sensation. Der Bayerische Rundfunk begleitete die Fahrt. Das damals einmalige Nachsorgemodell zwischen Krankenhaus und ambulanter Behandlung wurde ausschließlich durch Spenden und Stiftungsgelder getragen. Inzwischen ist die sozialmedizinische Nachsorge im Sozialgesetzbuch festgeschrieben.
Wie kam es dazu?
Grundlage war eine gesundheitsökonomische Studie zusammen mit dem beta Institut und der Universität Augsburg. Wie nachfolgend weitere Untersuchungen zeigte sie, dass Nachsorge Klinikaufenthalte nachweislich verkürzt und Rückeinweisungen reduziert. Daraufhin initiierte der Bunte Kreis einen Gesetzesvorschlag, der dazu beitrug, dass die sozialmedizinische Nachsorge seit 2004 Kassenleistung ist. Das alles war kein leichtes Unterfangen. Aber es war erfolgreich und erleichtert seither die Finanzierung der Nachsorge. Trotzdem sind wir weiterhin auf Spenden angewiesen. Viele Leistungen des Bunten Kreises werden von den Krankenkassen oder anderen Kostenträgern entweder
gar nicht oder nur zum Teil übernommen, etwa für Patiententrainings, tiergestützte Therapie oder die Einbindung von Geschwisterkindern. Und der Bedarf ist groß. In den letzten Jahren nahmen jährlich weit über 2000 Familien
die Hilfsangebote des Bunten Kreises in Anspruch. An unseren Standorten in Augsburg, Memmingen und Kempten versorgen wir inzwischen mit mehr als 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Region Schwaben.
Welche Kinder werden speziell von Ihrem Team begleitet?
Kommt ein Baby mit weniger als 1500 Gramm vor der 30. Schwangerschaftswoche oder mit einer schwerwiegenden Diagnose auf die Welt, ist das eine enorme Belastung für die Eltern. Wir beraten gemeinsam mit Klinik und Familie, was nötig ist: Anfangs ist das oft Stillberatung oder psychologische Begleitung und auch Sozialberatung, wenn beispielsweise Gelder beantragt werden müssen. Eltern, die weiter entfernt wohnen, versuchen wir kliniknah unterzubringen, damit sie bei ihrem Baby sein können. Denn Frühchen sind oft sehr lange in der Klinik, häufig bis zum eigentlichen Geburtstermin. Für ihre Entwicklung sind Körperkontakt und die Ernährung mit Muttermilch
essenziell.
Wie wertvoll ist diese Begleitung für die Familien?
Erst kürzlich hatte ich den Dankbrief einer jungen Frau in der Hand, die selbst als Frühchen von uns begleitet wurde, vor 22 Jahren! Zu lesen, wie gut es ihr heute geht und wie dankbar die „Handvoll Leben“ von damals ist, das hat
mich sehr berührt. Dafür arbeiten wir jeden Tag.
Das Interview führte Andrea Schneider.